Mittwoch, 20. November 2019

INDIEN - Tag 29, Reise nach Ooty

20. November 2019

Was Ilse des nachts schon klar wurde und Gernot dann am Morgen gleich ziemlich unrund hat werden lassen - wir haben tatsächlich kein Wasser. Der hat das einfach abgedreht. Schweinaug! Also musste Gernot schon wieder laut und deutlich werden, dann „durften“ wir wenigstens in einem anderen Zimmer duschen. Von selber würde der das nie anbieten. Wurscht irgendwie, wir hauen ja eh gleich nach Ooty ab. 
Wir haben jetzt beschlossen, dass wir tatsächlich mit dem Taxi (!) dorthin fahren werden. Das ist eine Strecke deutlich über 300 Kilometer, also in Indien ist das echt ein breiter Weg. Wir gönnen uns das aber trotzdem, weil es natürlich die bequemste Art zu reisen ist. Mit Uber kostet das knapp unter 9.000 RP, also 113 Euro. Passt! Schon nach einer Minute hat ein Fahrer den Auftrag bestätigt und keine 10 Minuten später ist Abdullah Mohamed eingetroffen. Ein uns sofort sympathischer junger Mann, der eine Riesenfreude mit der Fuhre hatte. Schnell war unser Gepäck in den Suzuki Maruti Swift eingeladen und die Fahrt konnte losgehen. Da war es 8 Uhr 30. Rückblickend waren die vielen Kilometer über indische Straßen für alle Insassen ziemlich anstrengend. Für unseren Taxler Mohamed natürlich um einiges mehr. Der Verkehr hier ist nur mit höchster Konzentration zu bewältigen, dem Fahrer wird wirklich alles abverlangt. Noch dazu bei einer derart langen Reise.

Aber auch für uns Passagiere ist das keine Spazierfahrt, denn immer wieder werden wir durch ein Schlagloch oder eine andere Bodenunebenheit von oben bis unten durchgebeutelt. Allein schon, über wie viele „Speed-Braker“ wir drüber gerumpelt sind: Vor jedem dieser quer zur Fahrbahn liegenden „Betonwürsten“ bremst Mohamed scharf ab, dann „Rumms“ mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit drüber und danach wieder Vollgas. Und das dutzende Male.

Gernot hat eh irgendwann einmal gemeint: „Dort froh heute Früh noch meine Mandeln waren, hab ich jetzt meine Beckenknochen.“ So ungefähr hat es sich angefühlt und Gernot hat sogar irgendwann das Schlüsselbein (!!) wehgetan …Darum haben wir auch alle ein-, eineinhalb Stunden angehalten, mal kurz runterkommen, einen Tee oder ein Cola trinken - Gernot und Mohamed haben sich auch je zwei Red Bull einverleibt. So um 13 Uhr haben wir dann Mittagspause gemacht, etwas gegessen und getrunken, wir hatten es ja nicht eilig, Oooty sollten wir zwischen 15 und 16 Uhr erreichen. 
Die Eindrücke während dem stundenlangen Aus-dem-Fensterschauen sind derart vielfältig, dass man gar nicht erst probieren braucht, das irgendwie zu beschreiben. Alle paar Sekunden passierte etwas Bemerkenswertes oder haben wir einen der andauernden „Kopfschüttel-Momente“ erlebt. Irgendwann haben wir dann unsere Bloototh-Box mit dem Handy verbunden und via youtube und dank des Superempfangs dröhnten dann Rare Earth, Undispudet Truth oder The Temptations durch das Taxi. Mohamed hat voll mit dem Kopf mitgeshaked und wir hatten eine richtig gute Zeit. Ilse hat dann eh mit dem Handy ein Video gemacht, wie wir uns „Smiling Faces“ gegeben haben - das war auf einem National Highway. Und dann plötzlich, bei einem lockeren 80er, platzt mit lautem Knall der rechte Hinterreifen. Na servas, das brauchst! Aber Mohamed hat die Karre voll im Griff gehabt und keine Sekunde lang die Kontrolle verloren. 

Wir haben den Reifenplatzer doch tatsächlich auf Video, man sieht darauf, dass wir alle völlig ruhig geblieben sind. Mohamed hat das Auto dann an den linken Rand gefahren und wir sind natürlich sofort ausgestiegen. Das Taxi stand auf einer Brücke, nach einer langgezogenen Linkskurve.     
Prinzipiell waren wir eh gut zu sehen, aber die Busse, LKW, PKW, Autos und Motorräder kommen auf der zweispurigen Straße gerne vierspurig daher. Dann mussten sie sich halt wieder neu einfädeln, wenn sie das liegengeblieben Taxi gesehen haben. Unser braver Fahrer hat sich routiniert an die Arbeit gemacht, bald einmal ist eine Rikscha stehengeblieben und ein Mann ist Mohamed gleich zur Hand gegangen. So hat der Reifenwechsel vielleicht 20 Minuten lang gedauert und die wilde Fahrt konnte weitergehen.

Wir sind dann an die Grenze Kerala/Tamil Nadu gekommen, vorher hat Mohamed noch den kaputten Reifen umgetauscht. Kerala-Taxis müssen bei einer Fahrt durch Tamil Nadu Steuer zahlen, die 400 RP haben natürlich wir übernommen. Auch hätten wir wieder sämtliche Autobahngebühren bezahlt, aber bei den beiden Zahlstationen sind wir gratis durchgekommen. Beim ersten Mal, die Gebühr hätte 55 RP gekostet, konnte die Kassiererin einen 100er (!!!) nicht wechseln, also hat sie uns durchgewunken. Und bei der zweiten Mautstation hat Mohamed eine Spur gewählt, wo das Kassenhäuschen unbesetzt war und ist einfach nicht stehengeblieben. So geht’s natürlich auch.


Ooty, das eigentlich Udagamandalam heißt, liegt auf 2.200 Metern, die Briten haben es seinerzeit von einem Hirtendorf zu einer ihrer „Hill Stations“ ausgebaut. Als Zufluchtsort in den heißen Sommermonaten, denn in Ooty ist es natürlich angenehm kühl. Von der Stadt Mettupalayam aus führt eine 46 Kilometer lange Straße in den Ort, die de facto zwar keine einzige nennenswerte Gerade, dafür aber unzählige Haarnadeln aufweist, manchmal gleich mehrere hintereinander, nennt sich dann „Hairpin Bend“. Wir haben dann unmittelbar vor der ersten Steigung noch einen ausgiebigen Chai-Break gemacht und wie wir dann den Kurven-Wahnsinn in Angriff genommen haben, begann es gerade zu dämmern …
Die Fahrt nach Ooty im Dunkeln werden wir sicher nie mehr vergessen. Obwohl die schmale Straße höchstens 200 Meter lang einsehbar ist, muss Mohamed immer wieder einmal einen Bus oder LKW überholen, denn sonst kommen wir ja echt nicht weiter. Auch er wird immer wieder überholt, von Motorrädern natürlich, aber auch von PS-starken Jeeps und PKW. Gernot hält sich für einen durchaus routinierten Autofahrer („Eine Million Kilometer durch Innsbruck“ 😊) aber diese Fahrt würde er sich nie zutrauen. Da funktioniert viel auch durch eine Art Intuition, etwa wenn man beim Überholen in einer Kurve davon ausgeht, dass ein entgegenkommender Bus ja eh gehupt hätte. In Indien muss man das Hup-Lexikon in- und ausgiebig kennen, sonst braucht man gar nicht selber fahren. Es gibt zahlreiche Varianten des Hupens, ein paar davon können wir inzwischen selber unterscheiden. Etwa der Doppel-Hupton, meist ohne ersichtlichen Grund. Der bedeutet „Hier bin ich“. Dann gibt es einen langgezogenen Hupton, der für Einbiegen-wollende und gewagte Spurwechsel-versucher gilt: „Denk nicht einmal daran!“ Beim Überholen, wahlweise wird links und rechts überholt, wo halt mehr Platz ist - auch auf der Autobahn übrigens, wird einmal kurz gehupt. Falls das nicht reicht, wird noch einmal nachgehupt. Wie gesagt, ohne genaue Kenntnis der Verkehrs-Gepflogenheiten kannst du in Indien keine derartige Bergstrecke im Dunkeln bewältigen. Abdullah Mohamed war ein echter Könner und er hat uns sicher nach Ooty gebracht, Ankunft war exakt um 18 Uhr 59 - also fast genau zehneinhalb Stunden nach unserer Abfahrt aus Alleppey. Mohamed ist dabei hunderten entgegenkommenden Autos, LKW, Bussen, Motorrädern und Mopeds ausgewichen, oft ist es sich nur um Zentimeter ausgegangen. Er hat unzählige Schlaglöcher umfahren, in manchen davon hätte man Kinder baden können. Er ist Hunden, Kühen, Schweinen und Affen ausgewichen und hat einmal im letzten Moment das Lenkrad verrissen, als ein Mensch neben der Straße geschlafen hat, dessen Beine weit in die Fahrbahn ragten … 

Endlich in Ooty angekommen, haben wir zuerst noch ein bisschen unser Hotel „Majestic Crown“ gesucht, aber dann sind wir uns alle drei richtiggehend in den Armen gelegen. Wir waren einfach überglücklich, dass diese Fahrt so gut verlaufen ist, trotz Reifenplatzer. Aber diese letzten knapp 50 Kilometer nach Ooty rauf, die waren echt an der Grenze, so was muss nicht immer unfallfrei ablaufen. Also waren wir wirklich froh, angekommen zu sein. Mohamed wird natürlich heute nicht mehr heimfahren, sondern auch hier in Ooty schlafen. Wir haben ihn für seine Leistung ordentlich bezahlt und er hat sich sehr darüber gefreut. Er hat uns dann noch um ein Selfie gebeten, haben wir natürlich gerne gemacht. Mach’s gut Abdullah Mohamed! Das Hotel „Majestic Crown“ trägt einen wahrlich großspurigen Namen, aber es ist eigentlich untere Mittelklasse. Dafür kostet es 2.300 RP die Nacht, wurscht. Wir haben heiße Dusche, ein großes Bett und sogar einen Balkon, der uns aber leider nur in den Hinterhof schauen lässt. Passt schon. Nach einer ausgiebigen Dusche gehen wir die paar Meter ins Restaurant rüber. Es ist ein Buffett angerichtet und es gibt einige interessante Angebote. Wir nehmen vorerst beide einen Gemüsereis und Gemüsebällchen in delikater, dicker Sauce. 
Die Bällchen schauen aus wie Köttpullar, die faschierten Kugeln, die es früher bei IKEA gegeben hat. Und sie schmecken so unfassbar nach gegrilltem Fleisch, dass wir kaum glauben können, ein vegetarisches Essen vor uns zu haben. Gernot isst dann ganz sicher mehr als 15 dieser köstlichen Golfbälle und hat jeden einzelnen davon genossen. Ilse hat sich natürlich mit weit weniger zufrieden gegeben, aber an Gernots Fressattacke war auch der etwas aufdringliche Kellner schuld, der immer ungefragt nachgebracht hat. Eh super. Wir sind übrigens die einzigen Westerners hier, mit uns sitzt eine indische Reisegruppe im Speisesaal, alles Inderinnen um die 50. Wir waren natürlich sofort das Gesprächsthema Nummer 1, vielleicht auch deshalb, weil wir nur in Hemd und Jäckchen dagesessen sind. Die Frauen waren alle in Winterjacken eingemummt und fast alle hatten dicke Wollmützen am Kopf. Nach dem köstlichen Essen sind wir hundemüde in unser Zimmer geschlurft und haben uns nur mehr ins Bett gelegt, gleich mehrfach zugedeckt übrigens. Denn die Frühtemperatur wird um die 12 Grad betragen … 

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