Freitag, 25. Oktober 2019

INDIEN - Tag 3, Delhi


Freitag, 25. Oktober 2019
Wir stehen so gegen 8 Uhr auf, heute gibt es einiges zu tun. Wir wollen uns indische SIM-Karten kaufen und das könnte zu einer veritablen Geduldsprobe werden. Aber, schauen wir mal … Als erstes gehen wir frühstücken, schon gestern haben wir eine „German Bakery“ entdeckt und die kriegt heute ihre Chance. Das Lokal befindet sich direkt im Main Bazar, vielleicht 20 Meter vom Hotel „Anoop“ entfernt. Beim Eintritt fällt uns auf, dass es im Cafe um einiges wärmer ist als draußen, aber weil alle Ventilatoren auf Hochbetrieb laufen, ist das nicht weiter ein Problem. Ilse bestellt sich „Black Tea“, Gernot wagt sich über den Kaffee. Wir essen nichts, weil wir keinerlei Hunger verspüren. Die einzigen Gäste, die mit uns im Lokal sitzen, sind - wenig verwunderlich an diesem Ort, Deutsche. Die zwei Frauen sind wohl um die 50 und ziemlich sicher Schwestern. Natürlich kommen wir ins Gespräch und führen eine nette Unterhaltung. Der Tee und der Kaffee waren voll in Ordnung und gestärkt nehmen wir uns eine Rikscha zum Connaught Place. Die Fahrt dorthin kostet 100 RP, wahrscheinlich das 3- bis 5-fache des Einheimischentarifes, aber wegen 1,20 Euro werden wir schon morgens zum Jammern oder gar Verhandeln anfangen. Die Taxler müssen auch leben.  Der Wallah kennt den Vodafone-Shop nicht, wurscht, wir haben ja Ilse dabei. Die hat sich klugerweise noch in Innsbruck einen Screenshot vom großen Platz gemacht und so finden wir nach wenigen Metern Fußmarsch das Geschäft auf Anhieb. Beim Eintritt gleich eine freudige Überraschung: Es ist kein (!!) Kunde vor uns und wir werden sofort von einem Mitarbeiter in Empfang genommen. 


Der wickelt die Ausstellung der SIM-Karten höchst routiniert ab, wir haben sämtliche erforderliche Unterlagen (Pass, Passbilder, Kontaktperson in Indien) bei der Hand und so dauert die ganze Prozedur keine dreiviertel Stunde. Da will man sich besser nicht vier, fünf Kunden wünschen, die vor einem dran sind. Die Telefone werden übrigens noch im Geschäft freigeschalten, das kann auch einen ganzen Tag lang dauern, wie wir in den diversen Foren gelesen haben. Super - der Tag fängt perfekt an und wir sind natürlich allerbester Laune. Der Tarif selbst ist sensationell günstig, wir zahlen jeder 999 RP, also etwas über 12 Euro. Dafür haben wir jetzt drei Monate lang sämtliche Inlandsgespräche gratis und jeden Tag gibt es neue 1,5 GB Datenvolumen. Echt geil und logischerweise rufen wir uns als erstes gegenseitig an - auch deshalb, damit wir die Nummer des anderen speichern können. Jetzt brauchen wir eine kleine Stärkung und kehren bei McDonalds ein. Wir essen aber nichts, sondern trinken nur ein Cola - mit Eiswürfeln, hier und praktisch nur hier kann man das riskieren. Anschließend gehen wir eine riesige Runde über den Connaught Place spazieren und kommen in dessen Mitte in einen großen Garten. 

Dort weht nicht nur die größte Fahne, die wir je gesehen haben (sie ist garantiert viele hundert Quadratmeter groß), sondern es steht auch ein gigantisches Gerüst aus Bambusrohren da, das sich knapp vor seiner Fertigstellung befindet. Beim Anblick der Arbeiter, die in gut 50 Metern Höhe barfuß und selbstverständlich ohne jegliche Sicherung herumturnen, wird uns gleich ganz anders. Das österreichische Arbeitsinspektorat würde bei so etwas garantiert durchdrehen und am nächsten Tag würden sich die mutigen Arbeiter auf den Titelblättern sämtlicher Tageszeitung wiederfinden ... Das Gerüst dient den Diwali-Feierlichkeiten, was es genau damit auf sich hat, bringen wir nicht in Erfahrung. Vom vielen Herumlatschen tun uns dann irgendwann doch ein bisserl die Füße weh und für einen formlosen 100er lassen wir uns zum Mainbazar zurücktuckern. Bei der „New Delhi Railwaystation“ steigen wir aus, ab hier kennt Gernot den Weg blind, er ist ihn schon dutzende Male gegangen. Tja, was soll man sagen - wir haben im extremen Gewühl ganz kurz den Überblick verloren und zack - waren wir schon in der falschen Straße unterwegs. Wurscht, dachten wir, hier im Pahar Ganj führen irgendwann alle Wege in den Main Bazar. 


Es war dann ein wirklich lässiger Umweg, wir sind durch kleine und kleinste Gassen gekommen, dorthin, wo sich kaum einmal ein Tourist verirrt. Aber - man braucht hier wirklich nicht besorgt sein, die Leute schauen nur neugierig und fragen sich höchstens, was die depperten Touristen hier zu suchen haben. Google-Maps war übrigens auch keine große Hilfe, denn erstens gibt es hier nirgendwo Straßenschilder und die Ansage „Folgen Sie dieser Straße in Richtung Nordosten“ ist mangels eines Kompasses auch eher witzlos. Aber, wir haben uns halt auf unser Gefühl verlassen und irgendwann waren wir wieder in einer Gasse, die wir schon kannten. Jetzt aber nix wie zurück ins Hotel und erst mal die Socken ausqualmen lassen. Im Zimmer haben wir dann via WhatsApp unseren Freund Markus angerufen und haben ihm zum Geburtstag ein „Happy Birthday“ gesungen. Er hat sich wirklich sehr darüber gefreut, auch seine Buben haben beide in die Kamera gestrahlt. Und das, obwohl Markus gerade beim großen Geburtstagessen mit der Familie in einem Gasthaus zusammengesessen ist. Lange hat es uns dann aber nicht im Zimmer gehalten und wir sind wieder hinaus in den unfassbaren Irrsinn des Pahar Ganj. Es vergeht buchstäblich nicht eine einzelne Sekunde hier, in der nicht aus irgendeinem Grund gehupt wird, ganz davon abgesehen, dass die Inder nicht einmal einen Grund brauchen, um zu hupen. Das ist mehr ein „Hier komme ich“ … Wir biegen in eine winzige Gasse ein, die ist keine vier Meter breit, hier sollten wir vor Verkehr verschont bleiben. Ja eh. Mopeds, Motorräder, Fahrrad-rikschas usw. pflügen sich gnadenlos durch die Menschenmassen und man muss wirklich in jeder Sekunde auf der Hut sein. Anstrengend, aber man gewöhnt sich schnell dran. In dieser Gasse sehen wir dann auch die erste (!!) Kuh im Pahar Ganj seit unserer Ankunft, ein kleines, angebundenes Kälbchen. 


Gleich darauf liegt ein mächtiger Stier quer über der Straße, er wird seine 700 Kilogramm haben, ist aber zum Glück friedlich. Dann kommen wir plötzlich zu einer mehrspurigen Hauptstraße und auch hier herrscht das blanke Chaos. Inmitten der Fahrzeuge aller Art steckt auch eine Ambulanz fest, trotz extrem lautem und nervendem Martinshorn kommt sie minutenlang nicht vom Fleck. Da will man auch nicht unbedingt als Notfallpatient drin liegen … Zwischendurch kommen wir an einem Typ vorbei, der einfach so regungslos auf der Straße liegt. Er ist völlig herunter-gekommen und schrecklich schmutzig, kein Inder nimmt Notiz von ihm. Ob er tot ist? Eher nicht, in unmittelbarer Nähe finden sich zwei Alkohol-Verkaufsstellen, also ist es wahrscheinlicher, dass er sich nur seinen Rausch ausschläft. 

Dass er einfach so liegengelassen wird und noch dazu im selben Moment eine „Animal Rescue“ vorbeifährt, zeigt uns einmal mehr, wie widersprüchlich sich Indien andauernd präsentiert. Wir biegen dann einfach irgendwann wieder rechts in eine kleine Gasse ab, unserem Feeling nach sollte sie uns zum Main Bazar zurückführen. Tut sie dann auch, aber vorher kommen wir unter anderem an einer Bäckerei vorbei, die ausnehmend hübsche Torten in der Auslage hat. Wieder so ein Widerspruch - auf der Gasse liegt der Dreck überall herum, die Luft ist buchstäblich zum Schneiden, es riecht streng nach Fäkalien und Pisse und dann werden, nur durch eine Glasscheibe getrennt, feinste Zuckerbäckereien feilgeboten. Indien - take it or leave it … Nach einer kleinen Rast im Hotel meldet sich dann dezent ein kleines Hüngerchen, welch Wunder, wir haben heute noch überhaupt nichts gegessen. Wir gehen aber gar nicht direkt essen, sondern machen noch eine Extrarunde durch unser Viertel. Wir sehen unter anderem einen derart abgefuckten Skoda, dass wir ihn fotografieren müssen. Gleich daneben liegt unter einem Auto eine Katzenmama mit ihren Jungen. Die Katzen sind hier natürlich besonders arm, sie sind in ständiger Gefahr, nicht nur wegen der unzähligen, streunenden Hunde. Dann kommt noch der unsägliche Lärm dazu, für die bekannt sensiblen Tiere muss das Leben in Delhi ein Horror sein. Da tröstet es nur wenig, dass dieses Leben wahrscheinlich nicht länger als ein, zwei Jahre lang dauert …

Jetzt ist aber endgültig Essenszeit und wir gehen zu unserem neuen Freund Sascha. Dort setzen wir uns an den einzigen Tisch und Gernot bestellt sich - einfallslos, wie er halt manchmal sein kann - noch einmal die „Dal Makhani with Butter Nan“. Ilse ist variantenreicher unterwegs und lässt sich ein „Egg-Sandwich“ kommen. Beides hat wieder hervorragend geschmeckt und als zwei bettelnde Kinder zum Tisch gekommen sind, hat ihnen Gernot das übriggebliebene Nan-Brot angeboten. Das 4- jährige Mädchen und ihr vielleicht 5-jähriger Bruder haben sich sofort über die Reste hergemacht und Gernot hat ihnen noch eine Flasche Wasser dazu bestellt. Weil sich die Kleine mit dem Trinken aus der schweren Flasche etwas schwergetan hat, haben wir noch zwei Einwegbecher kommen lassen. So etwas haben die beiden Kinder noch nie gesehen, der Junge hat sogar probiert, die plastifizierten Papierbecher zu essen. Schon brutal eigentlich … So schnell wie sie gekommen sind, waren die Kids dann auch wieder weg und haben zwei Innsbrucker Touristen am Tisch zurückgelassen, denen die Bauchtaschen mit den Tausenden Rupees plötzlich ganz schön schwer geworden sind … Nach dem Essen sind wir dann noch einmal eine große Runde gegangen, heute kauft übrigens fast jeder Inder neues Geschirr bzw. neue Kochtöpfe, das ist während der Diwali-Feiern Tradition. Auch hat beinahe jede Frau einen neuen Besen in der Hand, wir sehen hunderte Inderinnen damit herumlaufen. 


Wir kommen dann zu einem ausgedehnten Markt, wo die Händler laut schreiend ihre Waren anpreisen. Links befinden sich ausschließlich Gemüse-Wallahs, einer direkt neben dem anderen. Auf der anderen Seite sehen wir zahlreiche Metzgereien - beim Anblick der blutverschmierten Wallahs und den vielen zerteilten Hühnern wird uns einmal mehr klar: „Thank you, no chicken in India!“ Die Marktstraße selbst ist keine drei Meter breit und es schiebt sich eine dichte Menschenmenge durch den engen Raum zwischen den Ständen. Trotzdem pflügen sich auch hier laut hupend Mopeds und Motorräder hindurch, es gibt in Indien offenbar nirgendwo so etwas wie Fahrverbote. Oder es wird halt nicht exekutiert. Kann uns aber völlig wurscht sein, wir registrieren es nur. Nachdem wir dem Wahnwitz des Marktes entkommen sind, schauen wir noch bei einem Bankomaten vorbei und heben testhalber ein paar tausend Rupees ab. Nur um zu schauen, ob das auch funktioniert. Tut es, hätten wir also das auch erledigt. Aber dann nix wie zurück ins Hotel, wie wir später sehen, sind wir heute über 12 Kilometer weit gegangen, das reicht mal vorerst. Im Zimmer haben wir dann nicht einmal mehr den Fernseher eingeschalten - Danke, das waren heute schon Eindrücke genug. Schnell noch unter die Dusche und dann nix wie rein in die übergroßen Betten.  Morgen haben wir schon wieder etwas zu erledigen, wir wollen uns die Zugtickets nach Varanasi besorgen. Vielleicht lassen wir das gar keinen Wallah machen, sondern probieren es auf eigene Faust. Auf jeden Fall „müssen“ wir ab Dienstagmittag in Varanasi sein, denn wir haben uns heute bereits ein Zimmer dort reserviert. Sehr günstig, sehr lässig (angeblich mit eigener Terrasse) und direkt am Ganges gelegen. Zu Diwali soll es übrigens nahezu unmöglich sein, mit dem Zug irgendwo hinzukommen, nach Varanasi schon gar nicht. Aber das werden wir sehen, denn wie sagt der Inder so treffend: „Sab kuch milega“ - „Alles ist möglich“. 
 







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